Rasant steigender E-Commerce rückt Polen in die Mitte Europas

Die Koordinaten verschieben sich. War Westeuropa vor einigen Jahren noch das Epizentrum des E-Commerce, so dringt der Online-Handel immer weiter nach Osten vor. Eines der angesagtesten Zentren ist mittlerweile Polen. Allein in den vergangenen Jahren hat hier der Umsatz um satte 30 Prozent zugelegt. Was sind die Gründe? Eine kleine Spurensuche.

Die Corona-Pandemie hat die Kaufgewohnheiten noch einmal drastisch verändert und E-Commerce ist zu einer der am schnellsten wachsenden Branchen weltweit aufgestiegen. Diese Entwicklung ist auch in Polen zu spüren. Deutschlands Nachbar hat sich mittlerweile auf Platz eins der sich am raschesten entwickelnden E-Commerce-Märkte Europas geschoben. Lag der Umsatz 2020 noch bei 10,6 Millionen Euro, wird er für 2021 auf etwa zwölf Millionen Euro geschätzt. Im Jahr 2025 gehen Prognosen der Statista Global Consumer Survey von 15,9 Millionen Euro aus. Das wäre ein jährliches Umsatzwachstum von 7,3 Prozent.

Ein Wunder mit Ansage

Das „polnische Online-Wunder“ ist nach Experteneinschätzung nicht allein „hausgemacht“, sondern hat zwei wichtige externe Gründe. Zum einen ist da eine mittlerweile sehr gut entwickelte Infrastruktur, die Online-Händler aus ganz Europa nach Polen lockt. Mit einem groß angelegten Infrastrukturprogramm hat Warschau das Straßen- und Schienennetz in den vergangenen Jahren deutlich ausgebaut, zugleich sind zahlreiche Industrieparks entstanden. „Heute gibt es ungefähr 20 Millionen Quadratmeter moderner Lagerhausflächen“1, sagen Rhenus-Experten. Weitere 1,9 Millionen Quadratmeter sind im Bau.2 Damit belegt Polen den achten Platz in Europa. Und ein Viertel der verfügbaren Fläche ist jetzt schon vom E-Commerce-Bereich besetzt. Tendenz steigend.

Nicht unterschätzt werden sollte der zweite Grund: Polen kann ein großes Reservoir an Arbeitskräften bieten – zu Löhnen, die mehr als konkurrenzfähig zu denen in Westeuropa sind. „Gerade im Warehousing-Bereich ist es für Unternehmen attraktiver, in Arbeitskräfte zu investieren als in Automatisierung“, sagen Experten des Logistikdienstleisters Rhenus. Und verweisen darauf, dass Polen auch eines der größten Zentren für Arbeitskräftemigration aus weiter östlich gelegenen Ländern wie die Ukraine ist. Damit stehen selbst zu Spitzenzeiten immer ausreichend Hände zur Verfügung. Davon profitieren Marken wie Zalando oder Amazon, die im Land große Verteilzentren aufgebaut haben.

In Polen locken Markt und Möglichkeiten

Gerade in Westeuropa sind große Unternehmen an ihre Grenzen gestoßen. Polen bietet eine attraktive Alternative, heißt es in der Logistikbranche. Dabei lockt zum einen der lokale Markt mit 28 Millionen Online-Shoppern.3 Sie ordern aktuellen Statistiken zufolge vor allem Bekleidung, auf den weiteren Plätzen folgen Heimelektronik, Kosmetik und Bücher. Zum anderen ist da das Segment des grenzüberschreitenden E-Commerce, der sogenannte cross-border Online-Sale, den vor allem europäische Unternehmen vorantreiben. Davon profitieren große Logistiker; Rhenus beispielsweise hat seine Kapazitäten deutlich aufgestockt und betreibt mittlerweile vier Lager in Polen.

Stand früher die Frage im Mittelpunkt, ob und wie sich ein Volumenanstieg mit traditionellen Strukturen bewältigen lässt, geht es heute um ein ganz anderes Problem. Während Gesundheitsexperten über die Länge der Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen diskutieren, streiten Wirtschaftswissenschaftler darüber, wie schnell sich traditionelle Strukturen und Lieferketten wieder erholen können. Was kann man tun, um gewonnene Online-Marktanteile zu sichern und für die Post-Corona-Zeit auszubauen? Und ist es überhaupt möglich, angesichts solcher Unsicherheiten längerfristig zu planen?

Organisches Wachstum ist zu Ende

Noch vor einigen Jahren konnte der Handel auf ein organisches Wachstum zählen, heißt es in der Branche. „Aber diese Zeit ist vorbei. Heute müssen wir uns gerade im Online-Geschäft auf unvorhersehbare, kurzfristige Marktschwankungen einstellen. Zugleich steigen die Kundenanforderungen“, erzählt Marta Kunikowska, Marketing Manager bei Rhenus Logistics Polen. Der Logistikdienstleister betreut in Polen mehrere große Unternehmen. Er musste nicht nur die Erweiterung seiner Warehouse-Kapazitäten bei laufendem Betrieb umsetzen, sondern zugleich ein erweitertes Sicherheitskonzept aufsetzen. Denn in Zeiten der Pandemie hat die Frage des Vertrauens in das Logistikunternehmen deutlich an Priorität gewonnen.

Der Ansatz, den Rhenus gewählt hat, ist ein doppelter. Da sind zum einen Corona-Tests, die selbst vor der Einstellung von Saisonkräften stattfinden. Aber genauso wichtig ist eine ausreichende Schulung des Personals: „Erfahrung zu vermitteln, das sichert Qualität“, sagt Kunikowska. Nur so entstehe eine „Premium Quality of Packaging“, also durch die richtige Konfektionierung die perfekte Verpackung für ein hochklassiges Produkt zu erreichen.

Solch attraktive Lösungen kommen bei den Kunden gerade im Mode- und Kosmetikbereich an, betont die Rhenus-Warehousing-Expertin. Und sollte es mal nicht klappen, dann wird mit den richtigen Maßnahmen selbst die Retoure zu einem kleinen Erlebnis. „Bei Schuhen beispielsweise haben die Leute in Corona-Zeiten ja keine Möglichkeit, im Geschäft die richtige Größe zu finden. Wir wickeln auch diesen Bereich zur Zufriedenheit des Auftraggebers und des Endkunden ab.“

Neue Kommunikation schafft neue Vertriebswege

Eine präzise, kundenfreundliche Arbeit der Logistikdienstleister verhilft nicht nur Herstellern zu mehr Reichweite und neuen Kundengruppen. Es sind gerade die Online-Plattformen, die die neue Flexibilität brauchen und begrüßen. „Neue Kommunikationswege schaffen neue Vertriebswege“, heißt es in der Branche, weil sich Plattformen wie Zalando oder der Familienshopping-Anbieter Limango immer mehr zu einem Marktplatzmodell entwickeln.

Dabei ist es der Logistikdienstleister, der zunehmend die Bestellung des Kunden abwickelt und letztlich mit darüber entscheidet, ob ein Kauf zu einem Kundenerlebnis wird. „Anbieter und Kunden rücken durch den Logistiker enger zusammen. Gerade beim E-Commerce ist die Customer Experience äußert wichtig“, sagt Kunikowska. Übersetzt heißt das, dass eine positive Kundenerfahrung eine emotionale Bindung schafft. In einer Zeit, in der Markenwechsel noch nie so einfach war, kann dies ein entscheidender Wettbewerbsvorteil sein.

Eine Frage des Vertrauens

In Deutschland machen nahezu drei Viertel der Online-Käufer ihre Kaufentscheidung vom Versanddienstleister abhängig. Ähnlich, wenn auch nicht ganz so drastisch, sieht dies in Polen aus, wissen Insider zu berichten.

 

Bei uns in Polen hat die Corona-Pandemie die Entwicklung des Handels hin zum E-Commerce deutlich beschleunigt. Und diese Entwicklung wird sich nicht mehr umkehren, weil der Online-Handel in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen ist.
Paweł Nowak | Niederlassungsleiter Rhenus Polen

Und die Statistik gibt ihm recht: Den Zahlen des polnischen Statistikamtes zufolge nutzen besonders die 35- bis 49-Jährigen und Einwohner großer Städte das Internet für ihren Einkauf. „E-Commerce ist zunehmend die einzige Chance für den Einzelhandel, überhaupt noch ein nennenswertes Geschäft zu machen. Der Einzelhandel braucht dieses digitale Fundament“, sagt Nowak. „Und er braucht Logistik-Partner, die dies kundenorientiert umsetzen.“

Kurze Wege, gute Kooperation

Das größte Marktsegment in Polen ist das Segment „Fashion“, das 2021 bei 5,7 Millionen Euro liegen dürfte. Zugleich entwickeln sich die Waren des täglichen Bedarfs, also Lebensmittel und Drogeriewaren „bis hin zur Windel“, besonders dynamisch, sagt Niederlassungsleiter Nowak. Für ihn ist dieser Trend auch darauf zurückzuführen, dass Kunden die gute Zusammenarbeit von Händler und Zusteller immer mehr schätzen.

Das hat sich auch im Ausland herumgesprochen. So wurde nach Branchenangaben in kurzer Zeit in Polen ein halbes Dutzend neuer Lager aufgebaut. Kurze Entscheidungswege im Land verbunden mit kurzen Lieferwegen in benachbarte Länder wie Deutschland, die Slowakei, aber auch ins Baltikum oder bis nach Skandinavien haben Polen im Bereich E-Commerce nach vorn katapultiert. Nowak, der diese Entwicklung bei Rhenus miterlebt hat, ist nicht überrascht.

Das hat uns nicht nur an die europäische Spitze gebracht, sondern das Land – logistisch gesehen – sogar in die Mitte Europas gerückt.
Paweł Nowak | Niederlassungsleiter Rhenus Polen

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Kommentare

Für diesen Artikel gibt es 1 Kommentieren

Deborah_Droste

20.04.2021 - 14:08

A very interesting article with good insights!

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